Ende September ist normalerweise eine Übergangsphase: Die Hochtourensaison neigt sich dem Ende zu und es beginnt die Zeit für herbstliche Wanderungen oder Klettereien in nicht mehr ganz so hohen Lagen. Da ich die letzten beiden Wochen des diesjährigen Septembers in Japan verbrachte, ging ich nach meiner Rückkehr ins deutsche Schmuddelwetter davon aus, dass ich diese Phase ein wenig verpasst hätte und freute mich umso mehr, als plötzlich und unverhofft eine stabile Omegalage Anfang Oktober noch einmal eine Hochtour ermöglichte: Unser Ziel war der Grosse Diamantstock, dessen Ostgrat wir erklimmen wollten.
Auf 1770 m Seehöhe stellten wir unser Auto unterhalb der Staumauer des Räterichbodensees am Grimselpass ab und machten uns entlang des Bächlibachs in Richtung Bächliboden auf. Dabei folgten wir dem Weg zur Bächlitalhütte, der absolut faszinierend ist, denn die rund 350 Höhenmeter werden auf hunderten Granitsteinen erstiegen, die wie eine Natursteintreppe den Weg bilden. Es war uns ein absolutes Rätsel, wie die teilweise gigantisch großen Steine ihren Platz fanden und mit welch unfassbarem Aufwand der Weg angelegt wurde.
Im unteren Bächlisboden angekommen waren wir hin und weg von der Landschaft. In der Südseite des Tals (also die nach Norden ausgerichtete Felskette) lag noch einiges an Schnee und die Landschaft war einfach bezaubernd. Außerdem konnten wir am Ende des Tals auch unser Ziel, den Grossen Diamantstock erkennen.





Auf ebenem Grund, unweit des Bächlibachs schlugen wir unser Lager auf. Wir hatten unsere Lektion gelernt und durch das Schmelzwasser waren wir nicht darauf angewiesen, Gletschereis zu schmelzen.


Nachdem das Zelt aufgebaut und alles für die Nacht vorbereitet war, stiegen wir noch etwas in Richtung Diamantstock auf, um den Weg zum Einstieg in den Ostgrat zu erkunden. Wir orientierten uns von Beginn an nach Norden, wo wir den Aufschwung des Bächligletschers im Block- und Schutt an dessen nördlichen Rand nahmen.


Auf dem Gletscher fanden wir einige Fußspuren im Schnee und wir waren uns sicher, den richtigen Einstieg für den nächsten Tag gefunden zu haben. Rasch stiegen wir hinab zurück zum Zelt, denn es wurde langsam kalt und wir wurden ziemlich hungrig.




Die Nacht im Zelt war angenehm, wir hatten 7 °C im Zelt, es war windstill und in unseren Daunenschlafsäcken war es angenehm warm gewesen. Die Temperaturen bereiteten mir große Sorgen, denn ich bin an den Fingern sehr kälteempfindlich und auch wenn es gar nicht so kalt gewesen war, achtetete ich sehr penibel darauf, meine Finger beim Packen und Zustieg warm zu halten. Von der unweit gelegenen Bächlitalhütte waren die ersten Seilschaften schon aufgebrochen und wir konnten Sie um Dunkeln den Aufschwung des Bächligletschers aufsteigen sehen, als auch wir uns auf den Weg machten, und mit der langsam aufgehenden Sonne uns in Richtung Einstieg zum Ostgrat bewegten.





Kurz unterhalb des Einstiegs machten wir etwas langsamer, denn wir konnten erkennen, dass wohl doch schon einige Seilschaften an unserem Zelt vorbei gegangen waren. Wir mussten etwa vierzig Minuten warten, bis wir als letzte Seilschaft in die erste Seillänge einstiegen durften. Dabei hatten wir genügend Zeit zu überlegen, ob wir den Grat mit Kletter- oder Bergschuhen angehen würden.
Unsere Wahl fiel auf Kletterschuhe und so war die erste Seillänge, in den meisten Führern mit IV+ oder V- bewertet, überhaupt kein Problem. Meine Finger waren angenehm warm, die Sonne hatte noch herbstliche Kraft und es begann für uns eine herrliche Kletterei an perfektem Granit. Dabei war die Schlüsselstelle in der ersten Seillänge gleich zu Beginn und schon in der ersten Seillänge zeigte sich, was sich später fortsetzen würde: Es gibt hier und da Bohrhaken, aber eigentlich nur an den sicherungstaktisch auch relevanten Stellen. Der Rest lässt sich problemlos mit Schlingen, ersatzweise Klemmgeräten (aktiv/passiv) sichern. Nach der ersten Länge stellten wir auf gemeinsames Gehen am kurzen Seil um und wir konnten den Fels und die Kletterei genießen.





Wir waren schon eine ganze Weile am Klettern, als wir vor uns erkennen konnten, dass noch keine der Seilschaften vor uns den Gipfel erreicht hatte und sich auch unser Zeitfenster langsam dem Ende nähern würden. Zwar hatten wir keinerlei Probleme gehabt, aber uns wurde klar, dass wir dennoch nicht schnell genug waren, um diese doch recht lange Tour an diesem herbstlich kurzen Tag noch inklusive Abstieg im Licht zu Ende bringen zu können. Dazu kam, dass wir ja noch mit fünf Stunden Fahrt zurück nach Heidelberg kalkulieren mussten. Also entschließen wir uns für einen Abstieg in die Südflanke, an einer Stelle, die wir aufgrund von altem vorhandenem Material für den Notabstieg hielten. Später stellten wir fest, dass der eigentliche Notabstieg doch die nächste Scharte gewesen wäre, aber das wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht.


Beim ersten Abseiler zahlte sich aus, dass wir mit Doppelseil unterwegs waren, denn wir konnten die knapp über 45 m in einem Rutsch abseilen, ohne uns auf halber Strecke an ein Köpfel hängen zu müssen. Dies war mindestens einer anderen Seilschaft passiert, davon zeugte eine Schlinge. Nach dem ersten Abseiler ging es noch einmal eingutes Stück in die Tiefe, ehe wir von dem Band aus versuchten in den Weg des normalen Abstiegs durch die Südostflanke zu queren. Das stellte sich jedoch als deutlich zu riskant aus, denn auf den glatten Granitplatten lag fauliger Schnee, den langsam taute und die glatten Platten mit einen nassen Film überziehte. Nach etwa einer Stunde erfolglosem Suchen nach einem Übergang zum eigentlichen Abstieg verfolgten wir doch unsere zuvor gewählte Abseilllinie.


Wir folgten der Spur zurück zum Einstieg, stiegen den Gletscher hinab und packten unser Zelt ein, bevor wir uns hinab ins Tal zum Parkplatz aufmachten. Alles in allem waren wir zwar für die Jahreszeit etwas zu langsam, aber wir konnten für uns festhalten, dass wir das Gelände absolut im Griff und eine tolle Kletterei bei bestem Wetter hinter uns hatten. Unsere Entscheidung umzukehren war richtig gewesen, denn es war schon halb zwei, als wir zurück in Heidelberg waren…
Ein paar Tipps zur Tour:
- Der Clubführer Berner Alpen 5 – von Grindelwald zur Grimsel von Ueli Mosimann des SAC bietet eine gute Beschreibung der Route und des Zustiegs, auch wenn dieser wie mittlerweile alle Touren durch den starken Rückgang der Gletscher von Jahr zu Jahr etwas anders aussehen kann.
- Mit zwei Ausnahmen sind wir alles am laufenden Seil gegangen und waren dennoch nicht schnell genug – die Länge sollte man nicht unterschätzen.
- Die Schwierigkeiten bewegen sich zwischen der ersten Seillänge (IV+ bis V-) und Notausstieg bis auf zwei Stellen (jeweils etwa VI) im Bereich II – III, eine Stelle kann durch Abseilen entschärft werden. Persönlich war ich über die Entscheidung Kletterschuhe zu verwenden sehr froh, auch wenn es alle anderen in Bergschuhen angingen.
- Der Fels ist fest, gesichert werden kann weitgehend an Schlingen, an neuralgischen Punkten finden sich Bohrhaken. Wer sich nicht sicher ist freut sich beim Abseilen durch die Südostflanke über Halbseile.
- Der Bächligletscher wird nur kurz gequert, dennoch sollte man vorsichtig sein: Wir benötigten keine Steigeisen, aber wenn der Gletscher mitten in der Saison aper ist, sind diese erforderlich. Außerdem muss trotz der Kürze auf Spalten, sowie auf die Randkluft geachtet werden.
- Kartenmaterial findet man online bei map.geo.admin.ch oder in gedruckter Form auf der Schweizer Landeskarte LK 1230 Guttanen im Maßstab 1:25 000.
- Stützpunkt ist die Bächlitalhütte.
In diesem Sinne
Martin
P.S: Mein Dank für den Großteil der Bilder (und auch für die tolle Idee diese Tour zu machen) geht an meinen Seilpartner Sebastian.